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Heinz-Dieter Assmann
Tübingen
Legal implants — Fälle der erzwungenen und der freiwilligen Vermischung von Recht.
Donnerstag, 14. Juli 2011, 11:40
Bei allen Gemeinsamkeiten, die Recht (neben Sitte, Moral und anderen Quellen der Normbildung) als Element der Ordnung menschlichen Zusammenlebens aufweist, hat es sich doch weitgehend unterschiedlich und in unterschiedlichen Rechtskreisen entwickelt. Diese weisen Besonderheiten in Gestalt vor allem der das jeweilige Recht prägenden Rechtsprinzipien (Idee der „Einheit der Rechtsordnung“), der Rechtsquellen und des Zustandekommens von Recht, der Rechtsanwendung sowie nicht zuletzt des Anwendungsbereichs von Recht (in Konkurrenz zu anderen Mechanismen der Normbildung auf. Bisweilen ist diesbezüglich auch von der Entstehung unterschiedlicher Rechtskulturen die Rede. Hierauf aufbauend und verfeinert durch Erkenntnisse über die Rechtsfortbildung in der Moderne hat sich die These von der Pfadabhängigkeit der Rechtsentwicklung gebildet: Danach entwickelt sich Recht anhand der Pfade, die eine Rechtsordnung eingeschlagen hat; Mutationen und Experimente der Adaption fremder rechtlicher Elemente sowie der Verbindung und Vermischung eigener und fremder Rechtsprinzipien oder rechtlicher Institutionen ist eher unwahrscheinlich.
Dennoch kennt die Rechtsgeschichte Beispiele, in denen es zu Vermischungen von Rechtsordnungen und rechtlichen Institutionen gekommen ist. Das prominenteste und jüngste Beispiel ist zwangsweise Vermischungen, wie wir sie am Ende des zweiten Weltkriegs in Japan beobachten konnten, als die USA Japan in zahlreichen Bereichen zur Übernahme westlichen, d.h. US-amerikanischen Rechts zwangen. Historisch weitaus älter sind dagegen die Fälle der Adaption fremden Rechts auf der Grundlage der unterschiedlichen Entwicklung von Gesellschaften: die Wirkung des Römischen Zivilrechts auf die Rechtsentwicklung in Europa war – cum grano salis – vor allem dem Umstand geschuldet, dass das Römische Recht Formen der Speicherung von Recht und der Rechtsgestaltung für gesellschaftliche Verhältnisse entwickelt hatte, die sich in anderen Ländern Europas erst nach und nach einstellten.
Mit der Internationalisierung und Globalisierung sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen sind andere Fragen in den Vordergrund getreten: Zum einen die, ob und gegebenenfalls wie sich in einer Welt unterschiedlicher Rechtskreise und Rechtsordnungen eine supranationale Ordnung herstellen lässt oder nationale Rechtsordnungen sich angleichen lassen. Dabei ist zu bedenken, dass sich selbst durch Europa unterschiedliche Rechtskreise ziehen. Zum anderen hat sich aber auch gezeigt, dass nahezu alle industrialisierten Staaten auf das Problem der Internationalisierung und Globalisierung und die dadurch aufgeworfenen Herausforderungen durch die Anpassung ihrer Rechtsordnungen an Umwelt-Rechtsordnungen reagieren: Es kommt zu so genannten „Legal Implants“, d.h. der Implantierung ganzer Felder fremden Rechts in die eigene Rechtsordnung. Dabei setzt sich – so die Kernthese des Referats – allerdings nicht, wie überwiegend angenommen und behauptet, das funktional bessere („genialere“) Recht durch, sondern das Recht des größten und dominierenden Marktes. Nicht „Wahrheit“, sondern Anschlussfähigkeit und wirtschaftlicher Zwang ist das Movens dieser Entwicklung.
Dementsprechend haben bei Transformationsländern heute immer diejenigen die größeren Einflüsse auf die und Interessen an der Beeinflussung der neuen Rechtsordnungen der Transformationsländer, die dank ihrer wirtschaftlichen Stellung am meisten von der neuen Entwicklung profitieren. In einer Art Rechtsdarwinismus zwingt der Staat mit dem international dominanten Markt den Transformationsländern seine Rechtsordnung auf. Auf der anderen Seite tun sich Transformationsländer mit der Bildung einer neuen eigenständigen Rechtsordnung schwer. Das belegt etwa Chinas Entwicklung des Gesellschaftsrechts. So weist etwa das Modell der „Corporate Governance“ des chinesischen Kapitalgesellschaftsrechts – also das Modell der Leitung und Kontrolle namentlich von Aktiengesellschaften – heute Elemente sowohl des deutschen Rechts wie des US-amerikanischen Rechts auf, wobei es sich um Elemente zweier im Grundsatz widersprüchlichen Regelungsmodelle handelt.