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Manfred Stassen
Washington D.C./Aix en Provence
Identitätsdiskurs als Waffe — Thesen zu einer künftigen Theorie der Vermischung.
Freitag, 15. Juli 2011, 9:30
1. Seit Anbeginn der Menschheit ist die – regional und systemimmanent unterschiedlich stark ausgeprägte – Hybridität (Vermischung, métissage) die Norm, die homogene Gesellschaft und Kultur eher die Ausnahme. Das Phänomen des Hybriden und des Vermischten ist also ungebrochen historisch, und sozialtopologisch ubiquitär, belegt. Lediglich dessen Theorie ist bis heute defizitär.
2. Dieses Defizit ist in erster Linie der ebenso alten wie weit verbreiteten, militanten Ideologie des Selb(ig)en, des Eigenen, des Einen (bis Einzigartigen) und des Gleichen geschuldet : Identitätsdiskurse dienen von jeher als Waffe bei der Verteidigung von Partikularinteressen der dominanten Schichten (Klassen) in den einzelnen Gesellschaften und der einzelnen Gesellschaften gegeneinander.
3. Es gibt gute, objektive – oder doch zumindest plausibel objektivierbare - Gründe für die Attraktion, Akzeptanz und den nachhaltigen Erfolg von Identitäts- und Homogeneitätsdiskursen. Diese sind sowohl appetitiver wie affektiver, defensiver wie ideologischer, ökonomischer wie politischer und, nicht zuletzt, kultureller Natur.
4. Neu anzusetzen wäre vielleicht bei dem Gedanken, dass Homogeneität und Identität (ob persönliche, nationale oder kulturelle) Abstrakta, Diversität, Pluralität und Heterogeneität hingegen die eigentlichen Konkreta sind. Bei einer Theoriebildung der Vermischung sollte daher nicht von den immer schon vermischten, noch im Vermischen befindlichen oder gar – etwa als Teil eines politischen Projektes – zu vermischenden Einzelnen, den „Ab-gezogenen“, ausgegangen werden, sondern vom jeweils existierenden, konkreten, holistischen Ganzen. Das setzt eine Philosophie des post-identitären Blicks voraus.
5. Idealiter wäre eine gelungene Vermischungstheorie die Voraussetzung für das Verständnis von Globalisierungsprozessen, realiter ist sie bestenfalls deren Folge.